Das historische Kreisau
Das kleine niederschlesische Dorf Kreisau wurde vor allem durch zwei Personen bekannt: Der preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, der Sieger der Kriege von 1866 und 1871, erwarb im 19. Jahrhundert das Gut als Alterssitz. Sein Urgroßneffe Helmuth James von Moltke war einer der führenden Köpfe des späteren so genannten „Kreisauer Kreises“, einer Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. 1942 und 1943 fanden im Berghaus, das auf einer Anhöhe über dem Gutshof liegt, drei Treffen dieser Gruppe statt, auf denen ausführlich über Fragen einer möglichen Nachkriegsordnung nach Hitler diskutiert wurde.
Wichtigstes Vorhaben der Mitglieder des Kreisauer Kreises war die Ausarbeitung von Plänen für die Zukunft Deutschlands und Europas nach der Überwindung des Nationalsozialismus. Dazu trafen sie sich gewöhnlich in Berlin in kleineren Gruppen. Zu größeren Treffen reisten sie nach Kreisau.
Die „Kreisauer” sahen sehr früh „nicht nur die Verwüstungen der Städte, sondern auch die entsetzlichen Verwüstungen in den Köpfen und Herzen der Menschen“ (Moltke). Sie wussten, dass zu einer funktionierenden Demokratie die Teilhabe und das Verantwortungsbewusstsein ihrer Bürgerinnen und Bürger gehören. Schon 1939 hat Moltke sein Demokratieverständnis in einem Text über die „Kleinen Gemeinschaften” formuliert:
„Gegenüber der großen Gemeinschaft, dem Staat oder etwaigen noch größeren Gemeinschaften, wird nur der das rechte Verantwortungsgefühl haben, der in kleineren Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verantwortung mitträgt ...”
Viele Mitglieder des Kreisauer Kreises wurden 1944/45 hingerichtet.
Nach dem Krieg wurde aus Kreisau das polnische Krzyżowa und aus dem Gutshof ein Staatsbetrieb. Die Gebäude und das Dorf verfielen zunehmend. Doch das Erbe des Kreisauer Kreises wirkte nach 1945 weiter, in Deutschland wie in Polen. Viele Menschen sahen in den Kreisauern Vorbilder für einen toleranten und offenen Umgang miteinander, in ihren Ideen eine politische Konzeption Europas, die nicht mehr durch Chauvinismus, übermächtige Nationalstaaten und die Herrschaft von Ideologien geprägt war. Bürger aus Polen, West- und Ostdeutschland sowie aus anderen europäischen Ländern und den USA bemühten sich darum, Kreisau als Ort der europäischen Verständigung neu entstehen zu lassen.
1989 waren die Bedingungen für die Realisierung dieses Projektes günstig wie nie: Während in Berlin im November die Mauer fiel, nahmen der erste frei gewählte polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl an einer Versöhnungsmesse in Kreisau teil. Das verfallene Gut rückte schlagartig ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Aus der bereits aktiven internationalen Bürgerinitiative ging die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung hervor. Sie wurde im Juli 1990 im Beisein Freya von Moltkes gegründet. Diese Stiftung organisierte den Wiederaufbau. Die Mittel dafür stellten zum größten Teil die deutsche und die polnische Regierung. 1994 konnte die Internationale Jugendbegegnungsstätte ihren Betrieb aufnehmen. Die offizielle Eröffnung fand 1998 statt.