Grundlsee-Reise 2013
Tagung am Grundlsee im Salzkammergut, 6.-9. September 2013:
"Eugenie Schwarzwald und ihr Einfluss auf das Leben und die Widerstandstätigkeit von Helmuth James von Moltke"
Eine einmalige Gelegenheit, mit unserer Stiftung eine Reise an den Grundlsee – den Ort, an dem sich Helmuth James von Moltke und Freya Deichmann kennenlernten – zu unternehmen, haben fast 60 unserer Stiftung verbundene Personen wahrgenommen. Intensive Tagungsein-heiten mit Vorträgen und Diskussionen wechselten sich an den vier Tagen mit Wanderungen, Spaziergängen und Bootsfahrten ab. Beim schönsten Salzkammergutwetter konnten die Teil-nehmerinnen und Teilnehmer der Reise, darunter eine beachtliche und überaus aktive Gruppe Junger Stifter, ein Stück weit jenes Gefühl erleben, das die kreativen Sommerfrischen in Eugenie Schwarzwalds Villa Seeblick bestimmten. Untergebracht im Hotel, das an der Stelle der Villa erbaut wurde, genossen sie bei den Mahlzeiten den herrlichen Blick auf den Grundlsee, der Vielen von alten Fotos bekannt war.
Im Mittelpunkt der Tagung stand Eugenie Schwarzwald (1872-1940), eine so ungewöhnliche wie bedeutende Frau ihrer Zeit, die im öffentlichen Gedächtnis Österreichs noch kaum den ihr gebührenden Platz fand. Auf der Busfahrt von München ins Salzkammergut beschäftigten uns ihre reformpädagogischen Konzepte und deren Umsetzung in Schwarzwald‘schen Schulanstalten. Erinnerungen ehemaliger Schülerinnen ergänzten das Bild einer Frau, die koedukative Volksschulen gründete und Mädchen auf Studium vorbereitete, Gemeinschaftsküchen für die „geistigen Arbeiter“ gründete und so für Kinder wie für Erwachsene Sommerfrischen organisierte. All dies ihrer Zeit weit voraus. Am Grundlsee stimmte uns dann die Literaturwissenschaftlerin und Schwarzwald-Biografin Dr. Deborah Holmes (University of Kent) mit einer Lesung über die Sommerfrischen in der Schwarzwaldschen Villa Seeblick auf die folgenden Tage ein.
An den Tagen darauf näherten wir uns Schwarzwalds Person und Werk auf verschiedenen Wegen. Deborah Holmes steuerte einen biographischen Beitrag über die „self-made woman“ bei. Dabei ging sie auf Eugenie Nussbaums (so der Geburtsname Schwarzwalds) Jugend im polnisch-österreichischen Galizien und ihren Werdegang ein: das Studium und die Promotion in Zürich, die Eheschließung mit dem angehenden Beamten Hermann Schwarzwald, ihre ersten Schulübernahmen und –gründungen. Insbesondere aber zeigte sie Schwarzwalds Sonderstellung unter Wiener Salondamen wie Berta Zuckerkandl, Alma Mahler-Werfel und Hilde Spiel auf. Schwarzwalds sozialer Kreativität wandte sich Dr. Lisa Fischer (Wien) zu, Kultur¬historikerin, Ausstellungskuratorin und Journalistin, Autorin von Publikationen zu Frauen der Wiener Moderne und kreativen Sommerfrischen. In Abgrenzung zu dem gängigen produktions-orientierten Kreativitätsbegriff sprach sie von Schwarzwalds flüchtigen Kreationen: Prägung durch Empathie, Schaffung eines Raumes für Dialog unter Menschen verschiedener Professionen und Schichten, Lenken und Bestärken von Begabungen und praktische Hilfeleistungen, wo Not zu lindern war. Diese Formen weiblicher sozialer Kreativität seien als kulturelle, kreative Leistung nach wie vor nicht anerkannt. Dies sei eins der Gründe, warum Eugenie Schwarzwald und ihr Werk der Vergessenheit anheimfielen. Ergänzend referierte die Rechtsanwältin und Grundlseerin Anja von Rosenstiel darüber, welch bösartiges Bild Eugenie Schwarzwalds die produktiven – allesamt männlichen – Zeitgenossen und Besucher des Schwarzwald’schen Salons in ihren Werken und Erinnerungen hinterließen und damit die Deutungshoheit übernahmen. Zu entsprechenden Darstellungen Schwarzwalds bei Robert Musil, Elias Canetti, Karl Kraus und Egon Friedell hörten wir schließlich Anja von Rosenstiels Interview mit dem Literaturwissenschaftler und Musil-Biografen Karl Corino.
Von einer anderen Seite näherte sich der Historiker und Sozialforscher Karl-Heinz Roth dem Thema. In seinem Vortrag über Hans Deichmann, Freya von Moltkes Bruder, engen Freund Eugenie Schwarzwalds und Autor der ersten ihr gewidmeten biografischen Publikation, formulierte er mitunter, wie weit die Prägung durch Schwarzwald auf das Leben ihrer "Kinder" auswirkte, der jungen Menschen, die ihre Schulen besuchten, in ihrem Salon verkehrten und an ihren Sommerfrischen teilnahmen. Hans Deichmann, in den 40er Jahren in der italienischen Resistenza aktiv, würdigte mehrfach den großen Einfluss, den "Fraudoktor" auf ihn und seine Lebensentscheidungen hatte.
Einen wichtigen Beitrag steuerte Klaus Pumberger (Wien) bei. In einem Abendvortrag sprach er zur Psychogeografie der Region und konzentrierte sich dabei auf die Präsenz der Nazis und den Widerstand im steirischen Salzkammergut, insbesondere im benachbarten Bad Aussee. Damit leitete er eine Diskussion über die Erinnerungskultur in Österreich ein. Michael Gersdorf (Salzburg), leidenschaftlicher Sommerfrischler und Kenner der Region, erfreute uns auf einer Wanderung um den Altaussee See mit einem kurzen Bei¬trag über die Besonderheiten dieser Sommerfrischeregion. Junge Stifter wandten sich auf ihren alpinen Touren in kurzen Referaten einigen Gestalten der Besucher der Villa Seeblick zu.
Einen Vormittag lang beschäftigte uns dann intensiv die Frage, ob und wie weit Eugenia Schwarzwald und ihr Kreis Helmuth James von Moltke und seine Widerstandstätigkeit beeinflusst haben. Zur Einführung hörten wir die Sendung "Vom langen Gespräch auf kurzer Welle. Dorothy Thompson und Helmuth James Graf von Moltke" des anwesenden Journalisten und Filmemachers Alfred Jungraithmayr (Frankfurt a.M./Wien). Die amerikanische Journalistin Thompson gehörte dem Schwarzwald-Kreis an. Ihre Freundschaft mit Moltke fruchtete während des Krieges mit einer Serie von Radiobeiträgen unter dem Titel "Listen Hans", die Amerikaner auf Deutsch sendeten. Der Adressat der Beiträge "Hans" war Helmuth James von Moltke. Anschließend wurden von allen Teilnehmenden und Referenten in einem offenen Gesprächskreis die Verbindungen erörtert, die Moltke dem Schwarzwaldkreis verdankte. Er fand im Hause von Eugenia und Hermann Schwarzwald und in den Sommerfrischen viele neue Kontakte. Der wichtigste war Freya Deichmann, seine spätere Frau. Professor der Rechts-wissenschaften der Universität Wien Hans Kelsen weckte sein Interesse für das Völkerrecht. Über Carl Zuckmayer und Alice Herdan-Zuckmayer, ehemalige Schülerin Schwarzwald’scher Schule, lernte er Theodor Haubach und Carlo Mierendorf, später Mitstreiter im Kreisauer Kreis. Die Journalistin Merete Bonnensen in Kopenhagen und die Schriftstellerin Maria Lazar-Strindberg in Stockholm waren Freundinnen aus den Grundlsee-Ragen und Kontaktpersonen für Postsendungen nach und aus England in den Kriegsjahren. Ob er mit Richard Coudenhove-Kalergi schon damals über dessen Paneuropa-Konzepte auf der Terrasse der Villa Seeblick diskutieren konnte, sei nicht festzustellen. Dass er aber dessen Ideen wahrgenommen habe und mit Freunden diskutierte, stehe außer Zweifel – trotz gravierender Unterschiede zu den späteren Europa-Plänen des Kreisauer Kreises, wie Jan Kubista (Prag/Brüssel) ausführte. Die Prägungen, die Moltke durch die Freundschaft mit Schwarzwald erfahren hat, sind bis heute wissenschaftlich nicht erforscht. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung waren sich aber einig: Die offene, kreative Atmosphäre, die Eugenia Schwarzwald schaffte, die Vielfalt der Menschen unterschiedlicher sozialer, konfessioneller und nationaler Herkunft, die sie bewusst um sich scharte, die Annerkennung der Individualität bei gleichzeitiger Förderung der Gemeinschaft für das Leben und die spätere Widerstandstätigkeit Moltkes von großer Bedeutung waren. Das Protokoll der Gesprächsrunde wird demnächst beiliegend zu finden sein.
Eine interessierte und offene Gruppe, Referenten, die durch ihre hervorragenden Beiträge nicht nur informierten sondern auch inspirierten, Gespräche beim Essen und auf den Wanderungen und ein herrliches Spätsommerwetter waren Markenzeichen dieser besonderen Bildungsreise. Wir danken allen, die dabei waren und dazu beigetragen haben, dass es schöne und bereichernde Tage wurden!
Beiliegend finden Sie einige Texte und eine Auswahl von Fotos: Unseren freiwilligen Fotografen Mechthild Grote und Bernhard von Hülsen danken wir sehr.