Kreisau-Reise 2018
„Ich nehme viele tiefe Eindrücke mit und werde mich sicher weiter mit der Thematik befassen – jetzt erst Recht. Wir haben aktuell genügend Gründe, beim Kreisauer Kreis in die Lehre zu gehen; die angebotenen Vorträge untermauerten das und zeigten mir aus einem erweiterten Blickwinkel, wie viel innerhalb Europas aus den Fugen gerät.“
- Dr. Helga Blaschke, Teilnehmerin der Kreisau-Reise 2018
Die diesjährige Kreisau-Reise fand vom 20. bis zum 23. September mit einer Gruppe von rund 50 Teilnehmer*innen statt. Wie jedes Jahr stellten wir für unsere traditionsreiche Reise ein abwechslungsreiches Programm zusammen, das Raum für inhaltliche Auseinandersetzung und für geselliges Beisammensein bot. Auf der Hinfahrt am Donnerstagmorgen besuchten wir bei schönstem Herbstwetter die Friedenskirchen in Jawor/Jauer und Schweidnitz, die zu den bedeutendsten Holzkirchbauten in Schlesien gehören. Nach unserer Ankunft in Kreisau führte uns Dominik Kretschmann auf einem kleinen Spaziergang zum Kapellenberg, der Begräbnisstätte der Familie von Moltke. Gleich am ersten Abend diskutierten wir mit Dr. Krisztián Ungváry, einem ungarischen Historiker und Zeitgeschichtler und dem polnischen Journalisten und Publizisten Adam Krzemiński über die gegenwärtigen Entwicklungen in Ungarn und den sog. Visegrád-Staaten. So leitete der erste Vortrag auch die inhaltliche Ausrichtung unserer Kreisau-Reise ein, die sich den gegenwärtigen europäischen Herausforderungen widmete, wobei im Mittelpunkt der Vorträge und Gespräche die Diskrepanz zwischen den Bemühungen um ein stärkeres Zusammenwachsen und die beunruhigende Europaskepsis standen.
Am Freitagmorgen konnten wir in einem weiteren Vortrag an die EU-Thematik anschließen. Dr. Marek Prawda, ehemaliger Botschafter Polens in Berlin, der zurzeit die EU-Kommission in Warschau vertritt, referierte in seinem interessanten Vortrag „Eine neue Teilung Europas? Visionen und Perspektiven für die EU“ zur aktuellen politischen Situation, auch in Polen, der allen Zuhörenden sehr anschaulich vor Augen führte, welche Folgen die Entwicklungen der letzten Jahre für Europa haben. Im Vortrag und der anschließenden Diskussion mit der Europawissenschaftlerin Emilie Mansfeld und Dr. Agnieszka von Zanthier über die Zukunft Europas hielten sich im Hinblick auf die politische Entwicklung Optimismus und Pessimismus die Waage. Am Nachmittag gaben drei thematisch unterschiedliche Führungen je nach Interesse und Vorkenntnissen die Gelegenheit, mehr über die Geschichte und Gegenwart des Neuen Kreisau und die Begegnungsstätte zu erfahren und die weitläufige Gutsanlage weiter zu erkunden. Den Besuch im Berghaus begleitete Dominik Kretschmann, der von den Treffen des Kreisauer Kreises im Berghaus 1942-1943 berichtete. Unter der Führung von Robert Żurek, Vorstandsmitglied der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung und Leiter der Europäischen Akademie, besuchte eine Gruppe die Freilichtausstellung „Mut und Versöhnung“. Eine kleine Wanderung zum Nachbarort Makowice rundete das abwechslungsreiche Tagesprogramm ab: Bei Kaffee und Kuchen konnten wir im Garten des dortigen Schlosses die warmen, nahezu sommerlichen Temperaturen und die schöne Landschaft genießen.
Ein Höhepunkt unserer Reise war der anschließende Abend im Berghaus, der in diesem Jahr mit einer szenischen Lesung der Jungen StifterInnen eingeleitet wurde. In einer Collage aus Briefen, die unsere Stiftung aus einem Nachlass aus Frankreich erreicht haben, lasen die Jungen Stifter*innen aus der Korrespondenz zwischen Freya von Moltke und der Familie Fischbacher vor und ließen uns an der sehr ergreifenden Geschichte einer deutsch-französischen Freundschaft zur Zeit des Krieges teilhaben. Besondere Beachtung fand das sich anschließende Gespräch mit Helmuth Caspar von Moltke und den Jungen Stiftern Lars Krägeling und Felix Pawlowski, bei dem es um internationale Kontakte der Familie von Moltke ging. Hierbei spielte die Verbindung Helmuth James von Moltkes zu den Kreisen der österreichischen Pädagogin und Sozialreformerin Eugenie Schwarzwald (1872-1940) eine wichtige Rolle.
Den Samstag verbrachten wir in Breslau. Nach einem Besuch der Jahrhunderthalle von Max Berg und dem Weltausstellungsgelände konnten die Reisenden unter drei verschiedenen Stadtführungen auswählen. Renata Bardzik-Miłosz, die seit Jahren unsere Gäste begeistert, gab einen eindrucksvollen Einblick, wie das heutige Polen mit seinem deutschen Erbe in der Stadt an der Oder umgeht. Rainer Sachs begab sich mit seiner Gruppe auf die Spuren Breslaus als Stadt verschiedener Herren und verschiedener Visionen und Arkadiusz Cencora wiederrum führte durch die imposanten Säle der Universität und den Marktplatz. Daran anschließend begleitete uns Renata Bardzik-Miłosz zum Alten Jüdischen Friedhof in Breslau, den wir andächtig und beeindruckt durchliefen. So erlebten wir den Tag bei schönstem Wetter und Breslau als eine überaus sehenswerte Stadt, die besonders durch ihre bewegende multikulturelle Geschichte eines weiteren Besuchs wert ist.
Der Morgen unserer Rückfahrt begann mit einer ökumenischen Andacht in der Kreisauer Kapelle, die von Dr. Axel Smend vorbereitet und zwei Jungen Stifter*innen durchgeführt wurde. Zwischen Kreisau und Berlin besuchten wir noch das ehemalige Zisterzienserkloster in Lubiaż/Leubus und trafen nach einem kleinen Picknick erfüllt und bereichert durch viele neue Eindrücke und Erkenntnisse wohlbehalten und pünktlich am Berliner Hauptbahnhof ein. Wieder einmal verlief die Kreisau-Reise in einem äußerst angenehm freundschaftlichen Klima. Anregende Gespräche und geselliges Beisammensein an den Abenden beförderten neue Bekanntschaften und vielleicht bleibt der eine oder andere Kontakt erhalten.