Kreisau-Reise 2019
Manche Mitreisende kamen schon wiederholt mit – „um nach dem Rechten zusehen“ –, andere waren neu dabei. Und wieder andere fuhren mit, um sich zu erinnern: Als Kinder gehörten sie zu den ausgebombten Flüchtlingen, die Freya von Moltke während des Krieges im Schloss Kreisau aufgenommen hatten. Die Kreisau-Reise zog 2019 langjährige und neue UnterstützerInnen an.
Im Jubiläumsjahr 2019, in dem sich der Beginn des Kreisauer Wiederaufbaus zum 30. Mal jährte, war das Programm geprägt von der Erinnerung an das Kreisau des Widerstandes und das Entstehen des neuen, auf deutsch-polnische Versöhnung ausgerichteten Kreisau.
Gleich am Abend des ersten Tages erwartete die Gäste ein Höhepunkt: Im Berghaus, seinem Zuhause bis 1945, sprach Helmuth Caspar von Moltke, ältester Sohn von Helmuth James und Freya von Moltke, mit Sabine Reichwein, Tochter des Pädagogen und Widerstandskämpfers Adolf Reichwein, und Andrea Siemsen – ihr Vater Harald Poelchau hatte als evangelischer Gefängnispfarrer Helmuth James von Moltke bis zuletzt betreut und zahllose Briefe zwischen Helmuth James und Freya von Moltke hin- und hergeschmuggelt.
In einem sehr persönlichen Gespräch tauschten sie sich darüber aus, was es bedeutete, Nachfahren des Widerstandes zu sein, die in der jungen Bundesrepublik lange als Kinder von Geächteten galten. Auf begleiteten Spaziergängen konnten die TeilnehmerInnen am zweiten Reisetag der erzählten Geschichte nachspüren: Mit Helmuth Caspar von Moltke ging es zum Kapellenberg, der Begräbnisstätte der Familie von Moltke, mit Dominik Kretschmann, dem Leiter der Gedenkstätte Kreisau, noch einmal zum Berghaus.
Das seit 1989 entstandene Neue Kreisau bildete den zweiten Schwerpunkt der Reise: Mit vielen Anekdoten blickten Pater Adam Żak, Mitinitiator und langjähriges Vorstandsmitglied der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, Dr. Annemarie Franke, Historikerin und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Stiftung (2001-2012) und Annemarie Cordes, langjährige Vorsitzende der Kreisau-Initiative e.V., auf die Anfänge der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung zurück. Der Rückblick endete mit einer symbolträch tigen Überraschung von Dr. Robert Żurek, dem geschäftsführenden Vorstand der Stiftung: Vor der Kreisauer Kirche, wo 2018 eine große Eiche gefällt werden musste, durfte Helmuth Caspar von Moltke einen jungen Eichenbaum pflanzen.
Einen Einblick in den aktuellen Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen lieferte die Politologin Dr. Agnieszka Łada vom Warschauer Institut für Öffentliche Angelegenheiten (Instytyt Spraw Publicznych). Sie stellte das „Deutsch-Polnischen Barometer“ vor, das seit 2000 die gegenseitige Wahrnehmung der Beziehungen zwischen Deutschland und Polen dokumentiert.
Das Rahmenprogramm lieferte zudem ein Bündel kultureller Attraktionen: Die TeilnehmerInnen besuchten schon auf dem Hinweg die Friedenskirchen in Jawor/Jauer und Świdnica/Schweidnitz, die zu den bedeutendsten Holzkirchenbauten in Schlesien gehören. Ein weiteres Ziel war das Schloss Muhrau/Pałac Morawa und auf großen Anklang stieß ein Tagesausflug nach Wrocław/Breslau.
Neben der schon traditionellen Stadtführung mit Renata Bardzik-Miłosz besuchte die Gruppe das Museum für Moderne Kunst. Museumsleiterin Iwona Dorota Bigos stellte neben der Dauer- auch die Sonderausstellung „po/wy/miary“ (measure-/assess-/ments) vor, deren Werke sich mit der Geschichte anthropologischer Rassenforschung in Europa auseinandersetzen. Vor der Abreise am letzten Tag ging es zudem zum ehemaligen Zisterzienserkloster Krzeszów/Grüssau, das zu den bedeutendsten Barockanlagen Europas gehört.
Neben all den Angeboten blieb jedoch wie auch in den Vorjahren die Begegnung und der Austausch Kern der Kreisau-Reise - ergänzt um ein festliches Abendessen und eine morgendliche ökumenische Andacht. Und selbst für diejenigen, die schon mehrfach mit dabei waren, hat Kreisau als Ort noch immer seinen besonderen Zauber:
Es sei gar nicht so einfach, die stärksten Eindrücke der Reise zu schildern, merkte ein Teilnehmer nach drei intensiven Tagen an. Und eine andere schrieb: „Kreisau ist ein besonderer Ort, an dem man sich landschaftlich und menschlich wohl fühlt.“
Aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie mussten wir die Kreisau-Reise 2020 vom 18. bis 21. Juni schweren Herzens absagen.