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Kreisau-Reise 2016 "Baustelle Europa"

Die diesjährige Kreisau-Reise war außerordentlich beliebt. Rund 70 TeilnehmerInnen machten sich mit uns auf nach Kreisau. Auf dem Weg besuchten wir die Friedenskirche in Jauer/Jawor, die zu den bedeutendsten Holzkirchbauten in Schlesien gehört. In Kreisau begrüßte uns Dominik Kretschmann, Leiter der Gedenkstätte in Kreisau, mit Kaffee und Kuchen und ein kleiner Spaziergang führte die Gruppe zu dem ‚Kaiserbahnhof‘, den Kreisau einem Besuch Wilhelms II. im Jahre 1890 zu verdanken hat und zur Zeit eine kleine Fotoausstellung über das alte Kreisau beherbergt. Der Abend des ersten Reisetages war für unsere Gäste einer der Höhepunkte der Reise. Im Gedenkraum des Berghauses sprach Dr. Petra Keller mit Helmuth Caspar von Moltke und Dr. Axel Smend über die Situation ihrer Familien nach dem Krieg – ihrer verwitweten Mütter und ihrer Selbst als Kinder von Ermordeten und Geächteten. Es war ein sehr bewegendes persönliches Gespräch. An zwei recht unterschiedlichen Beispielen zeigte es, wie schwierig sich die frühe Bundesrepublik und deren Bürger auch noch Jahre nach dem Krieg mit dem Widerstand taten.

Mit dem Jahresthema „Baustelle Europa: Aktuelle europäischen Herausforderungen" beschäftigten sich die ReiseteilnehmerInnen bei einer Podiumsdiskussion mit Piotr Buras, Journalist, Europa-Experte und Leiter des European Council on Foreign Relations in Warschau, und Christoph von Marschall, Journalist und Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion des Berliner Tagesspiegel. Die beiden sind Mitglieder der Kopernikus-Gruppe, einem Gremium aus HistorikerInnen und PolitologInnen, das regelmäßig den Stand der deutsch-polnischen Beziehungen analysiert und Empfehlungen zur deutsch-polnischen Zusammenarbeit erarbeitet. Klaus Pumberger und Agnieszka von Zanthier diskutierten mit den beiden über die Zukunft der Demokratie, der offenen Gesellschaft, die Eurozone und über die europäische Flüchtlingspolitik. Im Rahmen von Führungen durch Kreisau konnte danach die neue Kreisauer Freilichtausstellung "Mut und Versöhnung" besichtigt werden. Am Abend hielt Prof. Krzysztof Ruchniewicz, Leiter des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschlandstudien an der Universität Wrocław/Breslau, einen mit Spannung erwarteten Vortrag zur aktuellen politischen Situation in Polen, der allen Zuhörenden sehr anschaulich vor Augen führte, welche Folgen der Machtwechsel in Polen im letzten Jahr für das Land hat.

Den Sonntag verbrachten wir in Wrocław/Breslau: Es gab Stadtführungen zum Umgang der Stadt mit ihrem deutschen Erbe und zum historischen Stadtkern, sowie einen Besuch der Jahrhunderthalle von Max Berg. Für uns alle war auch der Besuch in dem neurestaurierten Vierkuppelpavillon des Architekten Hans Poelzig ein Erlebnis. Das Gebäude, früher Teil des Messegeländes, beherbergt seit neustem ein Museum für moderne Kunst, in dem u.a. gerade die Sammlung des Berliner Unternehmers und unseres Stifters Dr. Erich Marx gezeigt wurde. Die Restaurierung des Vierkuppelpavillons ist ein Beispiel für die Anstrengungen der Europäische Kulturhauptstadt 2016, die Geschichte der Stadt in ihre Gegenwart zu integrieren. Wieder einmal erlebten wir Wrocław/Breslau als spannende, quirlig lebendige und überaus sehenswerte Stadt. Der letzte Tag der Reise wurde mit dem traditionellen festlichen Abendessen in Kreisau abgeschlossen. Nach einer ökumenischen Morgenandacht und einem Spaziergang auf den Kapellenberg machten wir uns auf den Rückweg. Unterwegs ermöglichte ein kurzer Zwischenstopp an der Friedenskirche in Świdnica und an der Klosterkirche in Wahlstatt/Legnickie Pole, wo 1241 ein polnisch-deutsches Ritterheer von Mongolen der Goldenen Horde vernichtend geschlagen wurde. Die dortige Kirche, in Erinnerung an die Schlacht gestiftet, gilt als eine der Perlen der schlesischen Barockkunst. Am Abend erreichten wir, reicher um viele neue Eindrücke und Erkenntnisse, pünktlich und wohlbehalten den Berliner Hauptbahnhof.

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Dr. Klaus Pumberger (Kreisau-Initiative e.V.): "Ich fand die Diskussion zum Thema "Baustelle Europa" mit Piotr Buras und Christoph von Marschall in mehrfacher Hinsicht interessant und zugleich beeindruckend. Zum einen zeichneten sich ihre Beiträge durch einen besonderen Tiefgang aus. Die beiden unterstrichen, dass wir es zurzeit in Europa nicht nur mit mehreren Krisen (Finanzkrise, Eurokrise, Ukraine-Krise) zeitgleich zu tun haben.  Die Demokratie insgesamt ist heute in Frage gestellt, ist in einer schweren Krise. Es blieb jedoch nicht nur bei der Darstellung dieses kritischen Befunds. Insbesondere Christoph von Marschall plädierte in seinen Statements für eine pragmatische Vorgehensweise: sich einmischen, Verantwortung für unsere Demokratie, ihre Erhaltung und Weiterentwicklung zu übernehmen. Zum anderen verlief die Diskussion mit dem Publikum, die auf das Podiumsgespräch mit beiden Referenten folgte, sehr engagiert und intensiv.  Die Zeit verging auf diese Weise wie im Flug. - Besonders aufschlussreich fand ich auch den abendlichen Vortrag von Professor Ruchniewicz zur aktuellen Lage in Polen sowie die sich anschließende Diskussion. Besonders zu unterstreichen sind die folgende Merkmale, die Professor Ruchniewicz als charakteristisch für populistische Bewegungen herausarbeitete: die Spitzenpositionierung von angeblich gemäßigten Führungspersönlichkeiten, großzügige sozialpolitische Maßnahmen sowie das Infragestellen demokratischer Institutionen. An diesem Abend fühlte ich mich an die aktuelle politische Entwicklung in meinem Heimatland Österreich erinnert."

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Eindrücke der ReiseteilnehmerInnen:

P. Martin Maier SJ: "Mit meiner ersten Reise nach Kreisau ging für mich ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Die Samenkörner, die Helmuth James von Moltke und der Kreisauer Kreis ausgestreut haben, sind auch heute noch fruchtbar. Das zeigte sich für mich in den vielen Begegnungen und Gesprächen in unserer Gruppe. Ein besonderes Geschenk war die Gegenwart von Helmuth Caspar von Moltke."

Wilhelm Splitter: "Vorträge mit exzellent vorbereiteten Referenten und lebendigen Diskussionen, Besichtigungen in Breslau mit einer überragend einfühlsamen und informierten Führerin, anregende Gespräche mit interessierten Teilnehmern, liebenswerte Mitarbeiterinnen, nicht zuletzt eine sehr gute Bewirtung und als gelungener Abschluss ein ökumenischer Gottesdienst, gestaltet aus dem Teilnehmerkreis, all das ist ein Kreisau-Treffen. In dieser Kombination für mich ein Ereignis, an das ich, im Land meiner Vorfahren, oft mit Dankbarkeit und Wohlwollen denke."

Katharina Lindemann: "Es war für mich eine eindrückliche Reise zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dass ich Geschichte und Gegend mit "Augenzeugen" einer anderen Generation erleben durfte, gehört vermutlich bald zu den Privilegien. Dass so viele sich für ein gutes europäisches Miteinander einsetzen, lässt für die Zukunft hoffen."

Rolf Kuhnke: "Zeuge sein, wie man das historische Kreisau zu einer lebendigen, europäischen Jugendbegegnungsstätte umgestaltet, das haben die Stiftungen um das Neue Kreisau exzellent geschafft. Hieran teilzunehmen, im "Vorlesungs"-Bus von Berlin, im "Berghaus" des Kreisauer Kreises und der Visionäre des Nachkriegsdeutschlands, sowie im Schloss des politischen Diskurses - das macht Kreisau zu einer bleibenden Erinnerung und Anregung, aber auch zu einer Mahnung für die europäischen Zukunft!"

Dr. Holm, Floris und Dr. Nadja Anders: "Es war uns eine besondere Freude, in diesem Jahr erstmalig an der Kreisau-Reise teilnehmen zu können. Wir erlebten eine Mischung aus spannenden historischen und aktuellen Themen. Die Beschäftigung mit den Herausforderungen Europas und den Veränderungen in Polen hat uns zum Nachdenken angeregt. Beim Spazieren durch Kreisau und Breslau, zum Kapellenberg und durch die Jahrhunderthalle konnten wir die Schönheiten der Architektur und Natur in uns aufnehmen und die Themen der Reise in individuellen Gesprächen mit dem interessanten Teilnehmerkreis vertiefen. Bereichert und dankbar sind wir nach Hause zurückgekehrt."

Prof. Dr. Claudia von Braunmühl: "Zweierlei hat mich bei dieser, meiner zweiten, Kreisaureise besonders erreicht. Das nachdenkliche Reden der polnischen Gäste, in dem, so schien es mir, Diksursangebot Vorrang vor Selbstdarstellung hatte. Das Ausmaß des sich in Breslau kristallisierenden Bevölkerungsaustausches und die Ahnung von damit verbundenem Leid und Zukunftsherausforderungen."

Irmela und Dr. Fritz Herrenbrück: "Vielleicht hatten nicht wenige Mitreisende – wie wir selbst auch – sich von der diesjährigen Kreisau-Reise positive Perspektiven erhofft auf die drängenden europäischen Herausforderungen unserer Zeit. Die Einsicht, dass es einfache Antworten nicht geben kann, sollte uns jedoch nicht entmutigen. Gerade die Geschichte Kreisaus macht deutlich, dass es für zukunftsfähige Veränderungen eines langen Atems bedarf und dass es dazu Menschen braucht, die Modelle des Zusammenlebens entwickeln und heute schon in ihrem Umfeld das vorleben, was morgen für Alle überlebensnotwendig sein wird. Nicht nur deshalb hat uns die Dauerausstellung „Mut und Versöhnung“ inspiriert: Männer und Frauen haben den Mut gehabt, zukunftsweisende Gedanken auszutauschen und in ihrem Umfeld und mit ihren Möglichkeiten Schritte zu wagen, die über die aktuelle gesellschaftliche Situation hinaus wiesen, ohne zu wissen, ob, wann und in welcher Weise das angestrebte Ziel erreicht sein würde." 

Jawor/Jauer, © Laura Brüggemann

Friedenskirche in Jawor/Jauer, © Laura Brüggemann

Jawor/Jauer, © Laura Brüggemann

Begrüßung in Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Begrüßung in Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Abend im Berghaus, © Laura Brüggemann

Podiumsdiskussion mit Piotr Buras (Mitte links) & Dr. Christoph von Marschall (Mitte rechts); Moderation: Dr. Agnieszka von Zanthier & Dr. Klaus Pumberger, © Laura Brüggemann

Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Helmuth Caspar von Moltke mit TeilnehmerInnen der Reise, © Laura Brüggemann

Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Kreisauer Freilichtausstellung "Mut und Versöhnung", © Laura Brüggemann

Kreisauer Freilichtausstellung "Mut und Versöhnung", © Laura Brüggemann

Helmuth Caspar von Moltke und TeilnehmeriInnen in der Kreisauer Freilichtausstellung "Mut und Versöhnung", © Laura Brüggemann

Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Prof. Krzysztof Ruchniewicz & Dr. Agnieszka von Zanthier, © Laura Brüggemann

Gemütlicher Abend in Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Besichtigung der Jahrhunderthalle & des Vierkuppelpavillons in Wrocław, © Laura Brüggemann

Besichtigung des Vierkuppelpavillons in Wrocław, © Rolf Kuhnke

Besichtigung des Vierkuppelpavillons in Wrocław, © Laura Brüggemann

Besichtigung des Vierkuppelpavillons in Wrocław, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław mit Renata Bardzik-Milosz, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław mit Renata Bardzik-Milosz, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław, © Laura Brüggemann

Stadtführung durch Wrocław mit Renata Bardzik-Milosz, © Laura Brüggemann

Wrocław, © Laura Brüggemann

Festliches Abendessen in Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Kappellenberg in Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Kappellenberg in Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann

Die Reisegruppe auf der Schlosstreppe in Krzyżowa/Kreisau, © Laura Brüggemann