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Alfred Delp vom Kreisauer Kreis als Brückenbauer

Am 13. April kamen rund 100 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer bei einer Zoom-Konferenz zusammen, um über das Leben und Wirken von Alfred Delp zu hören und zu diskutieren. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Frage, welche Erkenntnisse und Leitfragen wir von Alfred Delp für das heutige gesellschaftliche Leben und für die politische Sphäre ableiten können.

„Im Widerstand erkennen sie plötzlich einander in ihrer Gemeinsamkeit.“ – Pater Klaus Mertes

Nach einer kurzen Begrüßung durch Dr. Anna Quirin und Helmuth Caspar von Moltke eröffnete Jesuitenpater Klaus Mertes den Abend mit einem Impulsreferat, in dem er einige wichtige Leitpunkte in Delps Leben skizzierte. Mit den Worten „Manchmal ist man zu nah dran, um zu verstehen“ leitete Pater Mertes in seine Erfahrung ein, die Gedanken von Alfred Delp erst vollkommen verstanden zu haben, als er sich ihm über die gemeinsame Zeit von Delp mit Helmuth James Graf von Moltke im Gefängnis in Berlin-Tegel annäherte. Mertes bezog sich hierbei auf die ökumenische Gebetsgemeinschaft im Tegeler Gefängnis (lat. una sankta in vinculis), die Delp als Jesuit gemeinsam mit dem Protestanten von Moltke sowie dem evangelischen Theologen Eugen Gerstenmaier bildete. Die Bereitschaft von Delp, von Moltke und Gerstenmaier, die in ihren Glaubensausrichtungen grundsätzlich verschieden geprägt waren, diese zwischen ihnen liegenden Unterschiede zu überwinden, sei eine wichtige Charakteristik von Delp und dem gesamten Kreisauer Kreis gewesen. Mertes hob die Besonderheit dieses gemeinsamen theologischen Miteinandersprechens hervor und verdeutlichte, dass die Überwindung der unterschiedlichen Glaubensrichtungen des Christentums auch in heutiger Zeit noch eine große Herausforderung darstellt.

Im Anschluss gab Dr. Peter Kern, Vorsitzender der Alfred-Delp-Gesellschaft Mannheim e.V., einen eindrucksvollen Einblick in die Biographie von Alfred Delp. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf diejenigen Lebensstationen, aus denen Alfred Delp seine theologischen, philosophischen und politischen Überzeugungen schöpfte. Delp kam vor einem konfessionell vielschichtigen Familienhintergrund (seine Mutter war katholisch, sein Vater evangelisch) bereits früh in Berührung mit den Jesuiten bekannte sich gegen den Willen seiner Mutter zum Interesse an der Ordensgemeinschaft. Im Zuge eines Philosophiestudiums entwickelte Delp zunehmendes Interesse an sozialen Fragen und setzte sich kritisch mit den Schriften von Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche auseinander. Delps offene und dialogbereite Art in Kombination mit seiner argumentativen Stärke wurde dabei nicht nur im Kreise seiner Lehrenden, sondern auch später im Jesuitenorden nicht ohne Bedenken beobachtet.

Durch seine Verbindung zum Glauben und durch die kritische Auseinandersetzung mit dem immer bedrohlicher werdenden politischen Klima um ihn herum entwickelte Delp schließlich im Kreisauer Kreis ein neues Verständnis von dem Menschen als Ebenbild Gottes und seiner Rolle im gesellschaftlichen und politischen Miteinander, das die sog. Katholische Soziallehre in den politischen Raum überführte.

Dr. Kern hob hervor, dass Alfred Delp auch heute noch aufgrund seines hochachtungsvollen und unerschöpflichen Glaubens ein Symbol der Hoffnung und des Halts ist und appelliert an uns alle, diesen Geist nicht vergessen zu lassen:

„Wir dürfen das Erbe des Kreisauer Kreises nicht liegen lassen, als sei nichts gewesen. Als hätten sie ihr Leben nicht gegeben. Es ist teuer erkauft von Delp, von Moltke und von vielen anderen. Es muss uns ein Stachel sein im Fleisch zu einem entschlossenen ‚Nein!‘, wo Leben verraten wird und zu einem wahrhaftigen ‚Ja!‘, wo um des Lebens Willen angepackt werden muss.“ – Dr. Peter Kern

Nach den gehaltvollen Vorträgen entwickelte sich eine tiefgründige Diskussion über das gedankliche Erbe Alfred Delps und des Kreisauer Kreises, welche von Dominik Kretschmann, Leiter der Gedenkstätte der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, moderiert wurde. Herr Kretschmann leitete die Diskussion ein mit dem Hinweis auf die polnische Publizistin Anna Morawska, die bereits in den späten 1960er Jahren Beiträge und Übersetzungen von Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp in Polen publizierte. Die Auseinandersetzung mit beiden Persönlichkeiten und ihren Schriften trug in Polen zu einer diverseren Wahrnehmung der bis dato mit nationalistischen Narrativen belegten deutschen Gesellschaft bei. Alfred Delp wurde somit ein erster Brückenbauer im Prozess der deutsch-polnischen Annäherung.

Im Vordergrund der im Anschluss diskutierten Themen stand der von Pater Mertes benannte Konflikt zwischen den christlichen Glaubensrichtungen und die Wichtigkeit einer Überwindung dieses Konflikts. Außerdem wurde die politische Dimension von Alfred Delp beleuchtet, welche, wie Dr. Kern in seinem Referat andeutete, unter anderem in Delps Weiterentwicklung der Katholischen Soziallehre zu einem sozialen „dritten Weg“ zwischen Individualismus und Kollektivismus lag.

Zum Abschluss erinnerte Pfarrer Fritz Delp, Neffe von Alfred Delp, in seiner Abschlussrede anhand einiger Schlüsselpunkte an die Aktualität von Alfred Delps Wirken. Zunächst stellte er die Bereitschaft von Delp, trotz existierender Gegensätze gemeinschaftlich zu denken, in Kontrast zu der aktuellen Situation im Zeitalter von Verschwörungstheoretikern und einer stärker werdenden neuen Rechten, in der es schwierig erscheint, aus Denkmustern herauszutreten und miteinander einen Diskurs zu führen. Außerdem betonte er die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Gegenwartsanalyse, wie sie der Kreisauer Kreis zu seiner Zeit vornahm. So müssen wir uns heute die wichtigen Fragen stellen: Was sind die Charakteristiken unserer postmodernen Gesellschaft? Wie kann es gelingen, dass in Delps Sinn ein „dritter Weg“, in dem Eigennutz und Gemeinwohl miteinander existieren und gedeihen, Einzug in unsere Gesellschaften findet?

Die gesamte Veranstaltung können Sie unter folgendem Link auf dem Youtube-Kanal der FvMS ansehen:

https://www.youtube.com/watch?v=hGz-Y4wdBlc

Online-Seminarreihe “Widerstand im Nationalsozialismus”

Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus war das Wirken einer Minderheit. Nur Wenige widersetzten sich dem Unrechtsregime aktiv. Der Weg dorthin war mitunter ein langer Prozess. Er wurde begleitet mit einem inneren Konflikt, einem Abwägen von Nutzen und persönlicher Gefahr und dem Hinterfragen der eigenen Rolle in der Gesellschaft. Nicht selten endete die Entscheidung zum Widerstand und Aufbegehren mit dem eigenen Tod. Was konnte und kann noch heute jeder Einzelne tun?

Widerstand war und ist aufgrund unterschiedlichster Beweggründe Antriebsfeder des Handelns. Ob aus religiösen, sozio-ökonomischen oder politischen Gründen. Das Engagement von bspw. Akteuren aus der Bekennenden Kirche, die sich im Zuge der Zersplitterung der evangelischen Kirche 1934 formiert hatte, galt keiner politischen Opposition. Vielmehr ging es deren Vertreter wie Dietrich Bonhoeffer vor allem um die Unabhängigkeit der Kirche vom nationalsozialistischen Einflussbereich. Damit standen sie im Gegensatz zu den Deutschen Christen, die die NS-Ideologie und das Evangelium in Einklang bringen wollten und dabei antidemokratisch und antisemitisch eingestellt waren und der Katholischen Kirche, die mit dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 ihre Zurückhaltung gegenüber dem NS-Regime besiegelt hatte. Sozialistisch und kommunistisch motivierter Widerstand stand dagegen einem immer stärker werdenden internationalen Faschismusgedanken gegenüber und war die Motivation vieler Gewerkschafter*innen und Politiker*innen aus dem linken Spektrum. Diese hatten schon sehr früh erkannt wie menschenverachtend das NS-Regime gegen Andersdenkende vorging; hatten sie es doch meist am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Dagegen war für die jüngere Generation der Widerständler der Wunsch nach Selbstverwirklichung ausschlaggebend. Die Schaffung eines "normalen" Alltags, weg vom politisch ideologisierten, war das Ziel einzelner junger Menschen. Es war der Widerstand gegen die Fremdbestimmung der eigenen Existenz, die vor allem durch nonkonformes Verhalten und dezentral organisiert war. Hier entstand eine Subkultur, die mit einfachen Mitteln, wie dem Tragen auffälliger Klamotten, das Establishment provozierte. Schon der Nichteintritt in die nationalsozialistischen Jugendverbände der HJ oder dem BDM galt als Aufbegehren. Überhaupt war der Widerstand im Alltag geprägt von kreativen Ideen wie dem Versand von Postkarten und Flugblättern. Jugendliche, die sich anhand von freien, ausländischen Medien wie die BBC über den Kriegsverlauf informierten und daraufhin Freunden, Bekannten und der Familie berichteten wurden teils ebenso zum Tode verurteilt wie andere die nach Autonomie des Geistes strebten und sich für Freiheit und Gleichheit einsetzten.

In einem dreiteiligen dialogischen und digitalen Format, diskutierte der Kreis der Jungen StifterInnen unter der Leitung von Katharina Klasen, Susanne Schade und Anne Schindler - allesamt MitarbeiterInnen der Gedenkstätte Deutscher Widerstand - diese besonderen Akzente des Deutschen Widerstands anhand von ausgewählten Biografien. Den Deutschen Widerstand verbindet man in der Regel mit prominenten Namen wie Klaus Graf Schenk von Stauffenberg oder Helmuth James von Moltke. Im Rahmen des virtuellen Seminars wurden jedoch bewusst Biografien diskutiert die weniger bekannt sind. Dabei tauschte man sich u.a. lebhaft über die Ideen des Kreisauer Kreises und anderer Widerstandsgruppen aus und überlegte ob und in welcher Form diese in der Nachkriegszeit noch aufgegriffen wurden. Dabei beleuchtete man auch die Unterschiede zwischen bundesdeutscher und DDR-Konzeption. Das virtuelle Format ist in Zeiten der sozialen Distanzierung sehr geeignet. Der sehr große Diskussionsbedarf zeigte sich auch an der immer überschrittenen Seminarzeit. In Zukunft ist ein regelmäßiger Austausch in Form von digitalen Diskussionsrunden geplant.